Auf ihrer neuen CD belebt Francesca Simone den alten Gassenhauer
„Azzurro" - und findet dennoch zu ihrem eigenen Stil
von Andreas Fasel
Humtata-Musik, das war immer ihr abschätziger Kommentar beim Hören
gewesen. Und nun sollte sie ausgerechnet diesen Gassenhauer selber
singen, als Wunschmusik auf irgendeiner Feier? Doch was nimmt man nicht
alles auf sich, zumal als freischaffende Sängerin: jetzt also „Volare",
dieser weltumplärrende Eisdielen-Reißer, „Volare, Cantare".
Es wurde schließlich eine wunderbare Interpretation daraus. Es ist, als
küsse Francesca Simone die alte Italo-Schnulze wach. Ach was, als hauche
sie ihr überhaupt das erste Leben ein, Volaaaaaaaaare - mit Tönen,
endlos wie die Sehnsucht. „Es war dieser poetische Text", sagt Francesca
Simone, der sie dazu gebracht habe, das Lied bis zum Balladentempo
herunterzubremsen: „Fliegen, singen, im Blauen, blau angemalt,
glücklich, dort oben zu sein."
Darf man sagen: so wie das Liedchen „Volare" vor ein paar Jahren durch
Francesca Simone zu sich selbst fand (nachzuhören auf der vorigen CD:
„Guarda Li"), so fand auch Francesca Simone durch dieses Lied ihren Weg?
Es liegt nämlich eine lange, lange Entwicklung hinter der Sängerin und
Komponistin Francesca Simone, die vor 42 Jahren in Köln geboren wurde,
heute im bergischen Land lebt und in wenigen Tagen ein neues Album
veröffentlichen wird. Es ist ihr viertes, das wie die anderen aus
Eigenkompositionen besteht - zum großen Teil. Denn auch dieses Mal
zerdehnt Francesca Simone wieder einen alten italienischen Schlager bis
zur Kenntlichkeit: Im langsamen Bossa schaukelt sie den großen
Paolo-Conte-Hit „Azzurro" hin und her zwischen Melancholie und
Heiterkeit. Und aus Gianna Nanninis Brüller „Bello e impossibile" macht
sie eine Elegie. Sie stimmt die Lieder um auf ihren eigenen Ton, der
inzwischen zum Stil herangereift ist.
Naturgemäß vermutet man bei einer Sängerin mit Namen Francesca Simone
einen lebenslang gepflegten Umgang mit der Italianità. Doch man irrt.
Denn Francesca Simone, Tochter eines Sizilianers und einer Kölnerin, hat
lange gebraucht, bis sie erkannte, dass das Italienische ihr
musikalisches Fach ist. Und ihre Geschichte lässt sich deuten als eine
Suche nach ihren Wurzeln und - das große Wort lässt sich ausnahmsweise
nicht vermeiden - nach ihrer Identität.
„Das Gastarbeiterkind", sagt Francesca Simone, sei sie damals in den
60er Jahren gewesen. Noch auf dem Gymnasium habe sich in ihr hartnäckig
das Gefühl gehalten, „keine Vollwertdeutsche zu sein". Es gab ja auch
Lehrer, die schimpften, sie möge sich doch den deutschen Gepflogenheiten
anpassen, wenn sie im Unterricht mal zu laut war. Und doch vergaß sie
immer mehr, dass sie eigentlich Halbitalienerin war - und dass sie bis
zu ihrem fünften Lebensjahr zweisprachig aufgewachsen war. Aber dann war
der Vater aus dem Haus gezogen und mit ihm die Sprache: Nicolo Simone,
übrigens ein vorzüglicher Folkloremusiker, der es so gerne gesehen
hätte, wenn seine Tochter Akkordeon gelernt hätte. Doch welches
halbwüchsige Mädchen will schon ein Akkordeon haben?
Dann wurde aus Francesca eine Pädagogik-Studentin, die gerne sang.
Später verdiente sie ihr Geld mit „Einschulungshilfe für ausländische
Kinder", und sie hatte ein paar eigene Lieder in der Schublade. Noch ein
bisschen später traute sie sich, an der Rheinischen Musikschule
vorzusingen. So bekam sie mit Mitte zwanzig ihren ersten
Gesangsunterricht.
Zwei Jahre später wurde sie als Jazzgesang-Studentin an der Kölner
Musikhochschule aufgenommen. Aber was wusste denn Francesca Simone vom
Jazz, von Swing, Bebop, Hardbop, Cooljazz, Freejazz, Jazzrock? Sie hatte
gerade mal ein paar Platten von Billie Holiday gehört und ein paar von
Ella Fitzgerald. „Standards", an denen sich ihre Kommilitonen schon seit
Jahren abarbeiteten, waren Neuland für sie. „Es war keine schöne Zeit",
sagt Francesca Simone: „immer unter Druck". Ihre eigenen Kompositionen
mussten vorerst in der Schublade bleiben. Und sie blieb außen vor. So
„gar nicht ins Image" habe sie gepasst, wo sie doch schon verheiratet
und Mutter war.
Heute sieht sie einen großen Vorteil darin, dass sie einigermaßen
unvorbereitet und unvorbelastet durchs Studium ging. Denn nur weil es
ihr leicht gefallen sei, „die Jazzspielregeln zu ignorieren", wie sie
sagt, habe sie auch schnell ihren eigenen Weg finden können.
An dieser Stelle kommen Andreas Kappler, Perkussionist, und Robert
Mensebach, Gitarrist, ins Spiel - beide ebenfalls eigenwillige
Abweichler vom Jazz-Standard: Kappler, weil er jahrelang auf allen
denkbaren Gegenständen trommeln wollte, nur nicht auf einem regulären
Schlagzeug; Mensebach, weil er stur dabei bleibt, mit seiner
siebensaitigen Gitarre jeden Bassisten überflüssig zu machen.
Irgendwann bemerkte Francesca Simone, dass ihr die italienische
Sprachmelodie leichter über die Lippen ging als alles andere, obwohl sie
seit ihrer Kindheit kein Italienisch mehr gesprochen hatte. Und eines
Tages entdeckte sie im Bücherregal ihres Vaters alte sizilianische
Gedichte, aus denen das Trio nun heitere, traurige, schnoddrige,
zärtliche Lieder macht, in denen alles zueinander kommt: Jazz, Pop,
Rock, Hip-Hop, Latin. Ihr Vater, der Folkloremusiker, habe sich
mittlerweile mit dieser modernen Erscheinung der Texte angefreundet,
sagt Francesca Simone. Besonders gut aber wird ihm wohl jenes Stück der
neuen CD gefallen, bei dem Francesca von ihrem Sohn auf dem Akkordeon
begleitet wird.
(Welt am Sonntag vom 30. März 2003)
Ausführliche Version - "Italienisch für Fortgeschrittene"
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